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Liturgische Bildtheologie

1. Ein Überblick über das Vorkommen der Bilder im liturgischen Raum

Im sakralen Raum sind Bilder im Sinne von materiellen Gegenständen, aber auch Bilder im weiten Sinne, wie zum Beispiel der ganze sakrale Raum als allegorisches Bild für die feiernde Gemeinde. Die Kirche und das kirchliche Inventar sind darum neben ihrer normalen Funktionalität auch allegorische Bilder und verweisen in ihrer je spezifischen Art auf das Heilsmysterium in Jesus Christus. Das zeigt, wie verschieden das Phänomen des Bildes in und um das Gebäude Kirche verstanden werden kann. Auch in der liturgischen Sprache und in den liturgischen Handlungen sind reichlich Sprachbilder zu finden. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie liturgische Orte einen starken Bezug zur Allegorie haben können.

1.1 Die Kirche als Bildraum

Die Bauvorgaben des sakralen Kirchenraumes sind historisch gewachsen.[1] Der sakrale Raum dient dessen ungeachtet in der liturgischen Funktion als Bild für das Heilsmysterium. Beispielsweise werden bei der Liturgie der Kirchweihe die liturgischen Orte in der Kirche durch besondere Weihen und Segnungen hervorgehoben und entsprechend interpretiert.[2] Ein paar Beispiele dazu: 

  • Die Grundsteinlegung mit der rituellen Reinigung der Kirche von aussen ist ein Vorausbild für die Trennung von sakralem und profanem Ort (vgl. Joh 15,18f).[3]
  • Die Übertragung und Beisetzung von Reliquien unter dem Altar dient als Bild des angebrochenen Reich Gottes, in dem die ganze Schöpfung in der Perspektive der Herrschaft Gottes gesehen wird und gleichzeitig auf die Erfüllung des Reiches Gottes wartet (vgl. Apg 19,11; Offb 6,9).[4]
  • Mit der Salbung bestimmter Stellen in der Kirche mit Chrisam ist das Bild für Christus, den von Gott gesalbten Messias, angedeutet (vgl. Apg 4,25-27).[5]
  • Der Ambo ist als Bild für den Tisch des Gotteswortes (SC 51), an dem das Wort Gottes verkündet und ausgelegt wird (vgl. Hes 3; Offb 10,8-11; Jer 15,16-21).[6]
  • Das Weihrauchopfer auf dem Altar ist das Sinnbild für das Gebet der Gläubigen und das dargebrachte eucharistische Opfer, die wie ein Wohlgeruch in den Himmel hinaufsteigen bzw. den Kirchenraum erfüllen (vgl. 2 Kor 2,14-16; Offb 8,3).[7]
  • Der Tabernakel steht für das Zelt Gottes mitten unter seinem Volk (vgl. Offb 21,3).[8]
  • Der Friedhof um die Kirche ist ein Bild des Gottesackers, in dem die Leiber der Gläubigen begraben sind und die auf die Auferstehung warten (vgl. Joh 12,24).[9]

So lässt sich die allegorische Liste der liturgischen Orte weiterführen. Neben solchen Bildern im weitesten Sinn sind vor allem die konkreten Malereien, Bildwerke wie Mosaiken, Fresken, Statuen und andere die Liturgie schmückende Gegenstände im Kirchenraum. Diese werden nun präziser analysiert.


[1] Vgl. Koch, Baustilkunde, 38f; Faupel-Drevs, Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum, 205f.

[2] Vgl. Benediktionale, 140-147; Pontifikale, Die Weihe der Kirche und des Altares, 25-32.

[3] Vgl. Pontifikale, Die Weihe der Kirche, Nr. 2, 25.

[4] Vgl. Pontifikale, Die Weihe der Kirche, Nr. 14, 28.

[5] Vgl. Pontifikale. Die Weihe der Kirche, Nr. 15, 28.

[6] Vgl. Pontifikale, Die Weihe der Kirche, Nr. 12, 28. Das Wort Gottes und die liturgische Sprache sind reich an bildlicher Rede. Sie verwenden Bilder um das Reich Gottes bzw. das Heilsmysterium den Gläubigen näher zu bringen oder zu erklären.

[7] Vgl. Pontifikale, Die Weihe der Kirche, Nr. 15, 28.

[8] Vgl. Pontifikale, Die Weihe der Kirche, Nr. 32, 90.

[9] Vgl. Benediktionale, 185.

1.2 Die Malerei und andere, die Liturgie verzierende Gegenstände

Der Kirchenraum ist zu einem heiligen und von der profanen Welt abgesonderten Bezirk geworden, weil er ausschliesslich für die Liturgie bzw. für das Gebet vorgesehen ist.[1] Diese Umgrenzung ist nicht nur äusserlich durch das Gebäude angezeigt, sondern zeigt sich ebenfalls im materiell künstlerisch gestalteten Bereich. Die Raumgestaltung mit Bildern oder anderen liturgischen Gegenständen ist eine Frage des Raumes, der Zeit und der Spiritualität der Gläubigen. Ebenfalls haben auch die Orte in der Kirche eine bedeutende liturgische Funktion wie zum Beispiel der Taufort oder der Ort der Aufbewahrung der Eucharistie. Solche Orte können durch die sakrale Kunst hervorgehoben sein. Die Gattung der bildlichen Ausstattungsgegenstände der Kirche lässt sich grob auf Bildwerke als materielle Bilder sowie Statuen und liturgische Gegenstände zusammenfassen.[2]

  • Die Bildwerke als Bilder und Statuen: Sie zieren die äusserliche Fassade der Kirche, die Kirchenfenster, aber auch den inneren Kirchenraum. Meistens sind sie fest an einem Ort installiert und bestimmten den Gesamteindruck der Kirche bzw. des Kirchenraumes. Ein gleiches, einheitliches, theologisches oder liturgisches Konzept für alle römisch-katholischen Kirchen, wie es in orthodoxen Kirchen der Fall ist, existiert nicht. Seit dem II. Vatikanum haben sich zwei Kirchenbautypen herausgebildet:[3] Die sogenannten Communiokirchen und die Wegekirchen. Die Communiokirche hat eine Rundung, dass die feiernde Gemeinde um den Altar und um den Ambo stehen kann. Der Altar und der Ambo sind wie zwei ellipsenartige Brennpunkte. Ein Altarbild oder die Statuen könnten die Sicht auf das gottesdienstliche Geschehen versperren.[4] Daher sind Communiokirchen sparsam mit Bildern und Statuen ausgestattet. Der Ambo, der Altar und die rituellen Handlungen darauf ziehen aufgrund der schlichten Gestaltung des sakralen Raumes die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf sich. Hingegen sind Wegekirchen so gebaut, dass vorne ein reich bebilderter Hochaltar das Zentrum des sakralen Raumes bildet. Aufgrund der üppigen Gestaltung der Apsis ist wiederum die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf den Altar gerichtet. Das linke und rechte Seitenschiff bietet genügend Platz um bildliturgische Akzente zu setzten (zum Beispiel ein Gottesmutteralter, Kirchenpatronat, Apostel, Szenen aus der Heilsgeschichte usw.).
  • Die Bilder und Ornamente auf liturgischen Gegenständen: Unter die sakralen Gegenstände fällt hier das bewegliche Inventar, das künstlerisch gestaltet ist und für den spezifischen liturgischen Kontext bestimmt ist:[5] Bücher, Gewänder in liturgischer Farbe, Stoffe, Altarwäsche und Altargeräte, Bilder, Reliquien, Ikonen usw. Bilder als Malerei und zum Teil auch kleinere Statuen werden ebenso auf Messgewänder, Altarwäsche und liturgischen Geräten hineingearbeitet. Beispielsweise kann der Kelchstil eines Messkelches mit einer kleinen Statue ersetzt sein. Alle diese sakralen Gegenstände kreisen um das gottesdienstliche Geschehen und die Liturgie nimmt diese Gegenstände in Anspruch. Den Künstlern wird grosse Freiheit in der äusseren Gestaltung dieser liturgischen Gegenstände zugebilligt. Gerade bei den Ornamenten ist die künstlerische Freiheit damit verbunden, dass das Hauptaugenmerkt auf der liturgischen Funktion liegt und weniger auf das konkrete Aussehen. Der Hauptkorrelationspunkt zwischen der Kirche und der Kunst liegt vorwiegend in der liturgischen Funktion. Darum sind die liturgischen Gerätschaften stets von höchster materieller Qualität.

Das Zusammenspiel von gottesdienstlichem Geschehen und Bilder ist nicht leicht zu analysieren. In ihrer Funktion sind jedoch die materiellen Bildwerke der Liturgie untergeordnet und dienen derselben. Die Gefahr besteht darin, dass Kunstwerke oder Formen von Kunst das gottesdienstliche Geschehen untergraben können: Wenn Bilder oder Statuen nicht in ihrer liturgischen Hinweisfunktion bzw. in ihrer Zeichenhaftigkeit verstanden werden, besteht die Verwechslungsgefahr, dass anstatt des (Zeichen-)Inhaltes nur die äusserliche Form (Zeichenträger) verehrt wird. Die Frage nach der Bedeutung, der Wirkmacht und der Funktion der Bilder im liturgischen Raum ist eine Herausforderung in der praktischen Umsetzung. Beispielsweise verweisen alle liturgischen Gesten und alle materiellen Zeichenträger auf Gott. Es lässt sich in der liturgischen Handlung nicht überprüfen, ob die Gläubigen den Zeichenträger oder den Zeicheninhalt verehren. Die Unterscheidung zwischen Zeicheninhalt und Zeichenträger könnte jedoch durch eine Befragung nachgeprüft werden.


[1] Vgl. Faupel-Drevs, Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum, 247-255.

[2] Vgl. Faupel-Drevs, Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum, 270f.

[3] Vgl. Goecke-Seischab/Harz, Der Kirchen-Atlas, 310.

[4] Gemäss Goecke-Seischab/Harz verzichten zeitgenössische Kirchen weitgehend auf Bilder. Das verweise auf den Sinn und die Bedeutung der Bilder in sakralen Räumen, die eine neue Antworten finden muss: Darstellungen aus dem Ersten und Zweiten Testament sind weitgehend verschwunden, selten gibt es Fresken oder Mosaike und auf malerisch-plastische und dekorative Elemente wird verzichtet. Die Bilder dienen nicht mehr der Repräsentation christlicher Traditionen. Goeck-Seischab/Harz gehen der Funktion der Bilder nicht weiter nach. Vgl. Goecke-Seischab/Harz, Der Kirchen-Atlas, 311f.

[5] Vgl. Goecke-Seischab/Harz, Der Kirchen-Atlas, 311-316.

1.3 Funktion der Bilder im liturgischen Raum

Die Liturgiekonstitution sieht die sakrale Kunst als eine auf Gott und sein Lob hin geweihte Kunst (SC 122). Die Kunst hat in der Liturgie die Aufgabe, Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit zu sein. Darum ist die Kirche auf Würdigkeit der sakralen Kunst bedacht. Material, Form, Schmuck oder Stil werden der Zeit entsprechend zugelassen (SC 123). Voraussetzung ist, dass die sakrale Kunst der Liturgie dient und sie «edle Schönheit»[1] ist (SC 124). Bilder in der Kirche sind zur Verehrung durch die Gläubigen erlaubt, aber sie dürfen nicht von der Liturgie ablenken (SC 125). Eine Konkurrenz zwischen Bild und Liturgie darf es in der liturgischen Feier nicht geben. Die Liturgie hat immer Vorrang. Darum sind Bilder im liturgischen Raum auf «wenige Darstellungen» zu reduzieren und Bilder von Heiligen dürfen nur einmal vorkommen (AEM 278). Letztlich soll auf das religiöse Empfinden der Gläubigen Rücksicht genommen werden. Das II. Vatikanum macht damit formelle Aussagen zur sakralen Kunst, ohne eine liturgische Funktion der Bilder zu definieren. Beispielsweise sieht die Allgemeine Einführung ins Messbuch vor, dass der Altar und das Evangelienbuch, die als Bilder für Christus gelten, mit einem Kuss verehrt werden (AEM 232). Ebenfalls ist eine Kniebeuge vor den eucharistischen Gaben vorgesehen (AEM 233). Ausführlich werden die Kopf- und Körperverneigung während der Liturgie beschrieben (AEM 234). Eine Verneigung vor einem Bild bzw. Statue oder die Verehrung durch einen Kuss ist in der Liturgie nicht vorgesehen. Erst bei der Verwendung von Weihrauch wird die Inzensierung des Kreuzes, neben Altar, Evangelienbuch, Gaben, Priester und Gemeinde vorgeschrieben (AEM 236). Bilder und Statuen spielen in der Feier der Eucharistie keine Rolle. Eine Ausnahme ist das Kreuz. Die Allgemeine Einführung zum Messbuch schreibt für die Eucharistiefeier ein Kreuz vor (AEM 270). Ebenso ist in der Karfreitagsliturgie ein eigener Ritus für die Kreuzverehrung vorgesehen.[2] Die Kreuzverehrung kann durch Kniebeuge oder ein anderes Zeichen der Verehrung geschehen (z. B. ein Kuss oder eine Verneigung).

Der Blick in andere liturgische Bücher bestätigt diese Annahme, dass Bilder und Statuen in der römisch-katholischen Liturgie eine Nebenrolle spielen: Der erste westliche liturgische Bildritus findet sich im 19. Jahrhundert mit der Krönung eines Marienbildes.[3] In der Pastoralen Einführung zur Krönung eines Marienbildes wird die Tradition der Krönung als ein Erbe aus dem Osten und Westen bezeichnet.[4] Der Brauch wird ins 16. Jahrhundert als Verehrungsgeste der Ordensleute und Laien zurückgeführt. Die Feier der Krönung scheint aus der liturgischen Frömmigkeit und aus dem christlichen Glaubenseifer entstanden zu sein.[5] Der ordentliche Leiter einer solchen Feier ist der Bischof.[6] Die Krönung kann in einer Messfeier, bei einer Vesper oder innerhalb eines Wortgottesdienstes geschehen. Jeweils nach der Homilie des Bischofs folgt ein Lobpreisgebet, die Besprengung der Kronen von Kind und Mutter mit Weihwasser, anschliessend wird das Bild des Sohnes gekrönt und nachfolgend das der Mutter. Während der Antiphon inzensiert der Bischof das Bild. 

Hofmann vermutet, dass die starke Regulierung der liturgischen Bildverehrung im Westen auf das maßlose Auftauchen der wundertätigen Gnadenbilder des 15. Jahrhunderts zurückzuführen ist.[7] Ebenfalls möglich scheint auch die theologische Auseinandersetzung von Präsenz und Repräsentation von den in Bildern Dargestellten. Jedoch eine einleuchtende Begründung für die zurückhaltende Verehrung lässt sich nicht ermitteln. 

Der nächstliegende liturgische Kontext für Bilder findet sich bei den Benediktionen[8]. Sie werden in Personalbenediktionen als Entfaltung der Taufe und in Realbenediktionen, deren Bezug die Konsekration der eucharistischen Elemente von Brot und Wein ist, unterteilt.[9] Die eucharistische Konsekration ist die Verdichtung der Segnung in Gestalt.[10] Mit Bezug auf die Bildsegnung als Realbenediktion sind folgende Punkte von Bedeutung:

  • Neue Schöpfung im Reich Gottes: In der Eucharistie werden Brot und Wein realsymbolisch zu Leib und Blut Christi. So wie das Brot und der Wein himmlische Speise des Reiches Gottes sind, «werden alle gesegneten Dinge Symbole der neuen Schöpfung im Reich Gottes.»[11] Die zu segnenden Bilder müssen auf das Eschaton hinweisen.
  • Schöpfungsgemässer Gebrauch: Die neue symbolische Situation, die im Segen erbeten wird, «verwirklicht sich im rechten, schöpfungsgemässen Gebrauch der gesegneten Dinge durch den Menschen.»[12] Analog zur Eucharistie geschieht die Segnung der eucharistischen Gaben im Hinblick auf die Kommunion. Das bedeutet für die Segnung eines Bildes, dass es auf die Verehrung hin gesegnet wird.
  • Modell für die Segensgebete ist das Modell des eucharistischen Hochgebets: Jeder Segen beinhaltet den Lobpreis Gottes, des Schöpfers, (der alles erschaffen hat und die Welt durch Jesus Christus erlöst hat und sie somit «gute Schöpfung» ist) und die Epiklese (herabrufen des Heiligen Geistes, der die zu segnenden Dinge zu einem Ort des Wirkens macht). 
  • Zeit, um den Segen zu spenden: Die Zeit der Eucharistie, Urbild der Segnung der Zeit, ist eng verknüpft mit dem Sonntag (Neuschöpfung!) als Tag des Herrn. Damit ist auch die ordentliche rechte Zeit der Segnungen gegeben. 

Das Benediktionale listet unter «Segnungen von religiösen Zeichen» das Weihwasser, das Kreuz, den Rosenkranz, die religiösen Abzeichen, die Fahne, die Kerze, das Sterbekreuz und die Sterbekerze oder sonstige religiöse Zeichen, auf.[13] Ebenfalls werden unter dieser Rubrik die Segnung von Christusbilder, Marienbilder, Heiligenbilder und der regionalen Tradition entsprechend Christopherusbilder oder Christopherusplaketten eingeordnet. Das bischöfliche bzw. priesterliche Gebet in den Bilderriten bewegt sich im Bereich der Sakramentalien ohne auf einen Hinweis der Konsekration.


[1] Dieser Begriff wird nicht näher definiert.

[2] Die Feier der Heiligen Messe, [53] – [58].

[3] Eine Ausnahme sind die Verehrung der eucharistischen Gaben und die Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie.

[4] Vgl. Die Feier der Krönung eines Marienbildes, Pastorale Einführung, Nr. 3.

[5] Vgl. Hofmann, BildTheologie, 194.

[6] Vgl. Die Feier der Krönung eines Marienbildes, Pastorale Einführung, Nr. 8

[7] Vgl. Hofmann, BildTheologie, 191.

[8] Benediktionen sind der Kernbereich von den sogenannten Sakramentalien, den zeichenhaften gottesdienstlichen Handlungen, die in einer gewissen Nachahmung der Sakramente gesehen werden (vgl. SC 60).

[9] Vgl. Messner, Sakramentalien, 656.

[10] Vgl. Messner, Sakramentalien, 657.

[11] Messner, Sakramentalien, 657.

[12] Messner, Sakramentalien, 657.

[13] Vgl. Benediktionale, 6.

2. Verhältnis von Mensch und Bild

Zur menschlichen Veranlagung bildliche Artefakte herzustellen (homo pictor) gehört auch die Veranlagung zur Religion (homo religiosus). Letztgenanntes möchte die Religionsanthropologie erfassen und analysieren. Hans Belting zeigen auf, dass der Mensch als Bildwesen gleichzeitig auch ein religiöses Wesen ist und umgekehrt. Der Mensch, die Religion, und das Bild sind folglich die bemerkenswerte Trias einer Bildtheologie, die das Anliegen der autonomen und nicht der erlernten Bildlichkeit und der Bildkompetenz des Menschen ernst nimmt. Das geschieht in der angegebenen Reihenfolge: Zuerst wird der Mensch als ein Bildwesen definiert und näher in seiner Berufung als Abbild Gottes bestimmt (vgl. Gen 1,26f; 5,1; 9,6). Dann stellt sich die Frage nach dem Ursinn, der Ursehnsucht, dem Transzendentalen, aber auch nach dem Ziel des menschlichen Lebens. Dieser Schritt offenbart, dass der Mensch ein liturgisches Wesen ist (homo liturgicus). Er drückt nämlich den Ursinn, die Ursehnsucht, aber auch die Erfüllung seines Wesens in Riten und liturgischen Handlungen (Zeichen) aus. Die Bildlichkeit und Sichtbarkeit sind damit als dem Menschen innewohnende Ausdrucksmöglichkeiten gegeben. Sie gehört zu seinem Wesen und zum religiösen Ausdruck. Im materiellen Bild legt sich sodann das Motiv des Sinnes, der Sehnsucht und auch der zukünftig erhofften Erfüllung durch die Form, die Farben oder auch durch den Ausdruck in einer materiellen Art und Weise dar. Bemerkenswert berücksichtigt in dieser Hinsicht die Bildanthropologie eine bildtheoretische Mischform. Die anthropologische Bildtheorie von Hans Belting ist für die Liturgiewissenschaft besonders interessant, weil sie den Menschen als Bildwesen in den Mittelpunkt liturgischer Handlungen stellt. So ergeben sich liturgiewissenschaftliche Fragen aus den verschiedenen Formen der Bildtheorie. Sie zeigen das weite, theologische und liturgiewissenschaftliche Feld der Bilddebatte.

Im Zuge des II. Vatikanischen Konzils und des revidierten Kirchen- und Menschenbildes ist auch das Bildbedürfnis des Menschen einer theologischen Reflexion zu unterziehen: Der Mensch mit seinen geistig-körperlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bezügen ist der Adressat des Evangeliums. Daher kommt eine zeitgemässe Bildtheologie nicht ohne interdisziplinäre Bildmethoden aus. Hans Belting sieht das Phänomen des Todes als Überthema der Bilder in der Religion.[1] Doch nicht allein der Schrecken des Todes hat zum homo religiosus und zum homo liturgicus geführt, sondern überhaupt die Faszination am Leben, das etwas ist und nicht nichts, die Erfahrung der eigenen Persönlichkeit und ferner die Tatsache, dass der Mensch von seiner überirdischen Bestimmung überzeugt ist.[2] Schliesslich ebenfalls die Gewissheit, dass sich Gott geschichtlich offenbart hat. Die Bilder scheinen die Qualität zu besitzen, die menschliche Sehnsucht zu repräsentieren und darum ist der Grund (bzw. die Funktion), nach dem ursprünglichen Sinn der Bilder vielfältig zu suchen. Der Kunsthistoriker Belting zeigt mit seiner Bild-Anthropologie, dass er letztlich auf eine Bildtheologie angewiesen ist. Die Bildtheologie wiederum äussert sich in der Liturgiewissenschaft vor allem in spezifischen liturgischen Handlungen, die als «Bilder für etwas» definiert werden können. Dadurch fällt die Bildtheologie als ein liturgiewissenschaft-liches Thema auf. Folglich ist in der Liturgiewissenschaft näher von einer «liturgischen Bildtheologie» zu sprechen. Sie legt bewusst den Fokus auf den liturgisch tätigen Menschen, sein Bezug zu den Bildern im liturgischen Raum und zur gefeierten Liturgie. Methodisch gehört die liturgische Bildtheologie mehr zur Bildanthropologie, weil sie das «Bildwesen Mensch» und die «liturgischen Bilder» zum Untersuchungsgegenstand hat. Das ist insofern neu, dass das Bild vom Menschen her begründet wird und weniger aus theologisch-dogmatischer Sicht. Das heisst nicht, dass die Dogmatik bzw. die Theologie keinen Beitrag leisten kann, sondern dass die jahrelange innertheologische, historisch-systematische Bildanalyse zugunsten dem Anliegen des II. Vatikanum und einer interdisziplinären Bilddiskussion erweitert wird. Das Verhältnis der Bildanthropologie zur liturgischen Bildtheologie ist ursächlich und von der Methode her abhängig. Trotzdem kann die liturgische Bildtheologie kritisch auf den bildanthropologischen Ansatz blicken und durch Ergänzungen, Präzisierungen oder Revidierungen an einer Theologie der Bilder mitwirken. Der liturgische Bildsinn, also der Zweck, die Aufgabe und die Bedeutung der Bilder in der Liturgie, ist damit durch erkenntnistheoretische und bildanthropologische Kategorien erweitert. Denn was nützen Bilder in einer liturgischen Feier, wenn sie von keinem gesehen und interpretiert werden und letztlich in der Feier oder auch im Leben nichts bewirken? 

Deswegen lässt sich durch verschiedene Bildtheorien erfassen, wie Gläubige ihre religiöse Welt in Bilder verstehen oder wie sie Liturgie erleben können. Denn seit der Menschwerdung Gottes ist die Sichtbarkeit eine besondere Aufgabe und ein Auftrag der Theologie geworden. Der Grundstein dieser Aufgabe und dieses Auftrags ist in der Schöpfungsgeschichte grundgelegt (Gen 1,26f.) und in Jesus Christus erneuert worden (2 Kor 4,4; Kol 1,15). Diese jüdisch-hellenistische Bildtheologie ist keinesfalls durch die modernen Bildtheorien überholt. Jesus Christus, als Sohn und Bild Gottes, hebt natürlich nicht die Unsichtbarkeit Gottes auf, sondern er stellt den einen Gott dar und Gott offenbart sich in diesen geschichtlich konkreten Jesus aus Nazareth (vgl. Joh 12,45; 14,9). Und doch bietet kein Evangelium eine Beschreibung des Aussehens Jesu an. Sie betonen alle, dass sich im Menschen Jesus, der aus Fleisch und Blut ist und auch als Auferstandener einen (verklärten) Leib mit Wundmalen trägt, Gott offenbart. Die Christusikone ist so gesehen ein gutes Beispiel für ein Scharnier von Bild-Anthropologie und (liturgische) Bildtheologie. Das Verhältnis von Bildanthropologie und Bildtheologie könnte in der Dissertation anhand einer Christusikone noch näher bestimmt werden.[3] Die verschiedenartigen Einzelheiten der Liturgie, näher der liturgische Raum und die Bilder in Kirchenräumen, können als Ganzes zu einer liturgischen Symphonie zusammenwirken.


[1] Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 145f.

[2] Damit ist der Verweis auf die menschliche Transzendenz gemeint.

[3] Vgl. Kapustka, Per velam, id est, varnem suam.,117-136; Hofmann, Aber was ist nun ein Bild?, 141-143.

3. Symphonie von Liturgie und Bild

Der Kunsthistoriker verfehlt das Ziel, wenn er ein Bild hinsichtlich der Technik und des Stils tadellos durch Sachverstand analysiert, jedoch nicht nach dem Bildzweck selber fragt. So erreicht auch der Liturgiewissenschaftler sein Ziel nicht, wenn er die christlichen Bilder hinsichtlich des Glaubensinhalts und der Theologie durch ein theologisches Ordnungsschema erklärt, es allerdings versäumt, dem religiösen Bildbedürfnis der Gläubigen, aber auch der Liturgie nachzugehen. Die Symphonie zwischen Liturgie und Bild tangiert unweigerlich eine christliche Bildspiritualität[1] und betont besonders christliche Bilder, die zum Gebet einladen oder in irgendeiner Weise das Heilsmysterium verkünden. Die liturgiewissenschaftliche Bildfrage lässt sich nicht dadurch beantworten, dass die liturgische Bildzulassung an kirchenrechtlichen oder liturgierechtlichen Bedingungen geknüpft wird, die garantieren, dass die kirchliche Institution den Überblick behält. Die Bilderfrage kann nicht alleinige Sache der Theologie oder einer anderen Fachdisziplin sein, sondern ist immer in einen interdisziplinären und interkulturellen Horizont zu stellen. Das gilt auch für die Theologie, insofern das liturgische Bild und ihre kirchliche Bildtradition mit dem Christentum vereinbar sind. Eine liturgische Bildtheologie oder ferner eine christliche Bildspiritualität strebt trotzdem keine einheitlichen und kontrollierbaren Bildergebrauch an. Der praktische Zweck ist zwar Teil ihrer Überlegung, aber nicht primärer Teilnahmegrund an der wissenschaftlichen Bilddiskussion. Die liturgie-theologische Bildtheorie unterscheidet ein und dasselbe wie in der Bildwissenschaft: Nämlich das Medium als Zeichenträger und das eigentliche Bild als Zeicheninhalt. Hier wäre zum Beispiel die Frage nach der (übernatürlichen) Wirkmacht gewisser Bilder aufschlussreich. Solche Bildtypen besitzen für die Gläubigen charismatische Eigenschaften. Der Ruhm solcher Bilder besteht in ihren Geschichten und Wundern. Wenn die liturgiewissenschaftliche Bildfrage in grundsätzlicher Weise gestellt wird, ist sie dementsprechend in einem interdisziplinären und interkulturellen Horizont zu erschliessen.[2] Daraus ergeben sich folgende liturgiewissenschaftliche Fragen, die sich für die Symphonie von Bildern in der Liturgie stellen:

  • Welche liturgiewissenschaftlichen Grundlagen gibt es für Bilder in der Liturgie?[3]
  • Wie prägen Bilder die Liturgie?[4]
  • Wo überall existiert das Bildphänomen in Bezug auf die Liturgie und die Frömmigkeit der Gläubigen (Sitz im Leben)?[5]
  • Welche Formen und Funktionen des Bildes gibt es in der Liturgie?[6]
  • Welchen Wirkungen erfüllen christliche Bilder in der Liturgie und beim persönlichen Gebet?[7]
  • Welches Bedürfnis steckt hinter der Bildspiritualität und den Bildern im liturgischen Raum?[8]
  • Inwiefern lassen sich liturgische Bilder oder christliche Bilder zu den Sakramentalien einordnen?[9]
  • Sind Bilder in der Liturgie eine eigenständige Bild-Gattung, die sich näher als «liturgische Bilder» definieren lassen kann?[10]
  • Wie sieht eine liturgie-theologische Bildtheorie aus und welchen Beitrag leistet sie in der Bildwissenschaft?
  • Welchen Mehrwert hat eine liturgiewissenschaftliche Bildtheorie zur allgemeinen theologischen Bildtheorie?

Gerade in der Moderne ist die Bildfrage auch eine Medienfrage geworden.[11] Das zeigt, dass die Bildfrage auch für die Liturgiewissenschaft aus einer linearen Bildgeschichte befreit werden muss, weil sie kaum nur dem geschichtlichen Ordnungsschema zugeordnet werden kann. Durch dieses Aufbrechen entsteht die Symphonie zwischen Bild und der heutigen Liturgie. Das Bild wird aus den geschichtlichen Zwängen befreit und eröffnet sich so für neue oder auch altbewährte liturgische Formen. Ebenfalls entstehen so ästhetische Konzepte für den Kirchenraum nicht ohne liturgische Erwägungen. Weiter rückt die Bedeutung der Bilder für die Liturgie und die Gläubigen in den Vordergrund. 


[1] Der Begriff «Bildspiritualität» meint hier rudimentär eine christliche Spiritualität, die einen Bildbezug aufweist. Beispielsweise ist damit das Schreiben einer Ikone durch Farbauftragen als Ausdruck von Frömmigkeit gemeint. Unter diesem Begriff fallen ebenfalls alle Gebetsformen oder religiösen Handlungen an und mit christlichen Bildern, wie auch allgemein die Einheit von Frömmigkeit, Kunst, Liturgie und Glauben. Vgl. Larcher, Religion aus Malerei?, 49-73; Stock, Religion und Kunst im Widerstreit, 346-353.

[2] Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 8.

[3] Vgl. Ozoline, Das Bild in der orthodoxen Liturgie, 30-43.

[4] Vgl. Hofmann, BildTheologie, 185-187.

[5] Vgl. Rauchenberger, Orte des Bildes im katholischen Raum, 146-185.

[6] Vgl. Franke, Jenseits von Kitsch und Kunst, 433-442.

[7] Vgl. Chaillot, Die Rolle der Bilder und die Ikonenverehrung, 21f.

[8] Vgl. Schulz, Die byzantinische Liturgie, 166.

[9] Vgl. Hoeps, Von der Darstellung zur Gegenwart, 397-404; Gottes Gegenwart im Bild?, 101-103.

[10] Vgl. Schulz, Die byzantinische Liturgie, 172-182.

[11] Vgl. Nordhofen, Die Konkurrenz der Gottesmedien, 19-30.

4. Die Bildwissenschaft und ihre Bildtheorien

Das Bild und die Bildlichkeit sind in den verschiedensten akademischen Fachrichtungen zur Angelegenheit ausgeprägter und breiter Forschung geworden. Angesichts dieser Fülle an bildtheoretischer Auseinandersetzung spricht die Bildforschung zu Recht von verschiedenen Wenden mit je eigenen Ansätzen: «iconic turn»[1] (Ikonische Wende), «pictoral turn»[2] (Wende zum Bild) und «visualistic turn»[3] (Visuelle Wende). Wenn bei all diesen Wenden von Bildforschung oder Bildwissenschaft die Rede ist, mag das den Anschein einer Einheitlichkeit wecken. Ebenfalls überzeugt die Annahme, dass die Bildwissenschaft sich der Erforschung des Bildes widmet. Bezüglich des Profils der Bildwissenschaft und des Untersuchungsgegenstandes sind allerdings keine einheitlichen Klärungen im akademischen Bild-Diskurs feststellbar.[4] Die unüberschaubare Fülle in den einzelnen Fachdisziplinen zeigt nachdrücklich auf, dass die Bildwissenschaft kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist. Infolgedessen ergibt sich die gewichtige Frage: Ist die Bildwissenschaft eine eigenständige Disziplin oder handelt es sich um eine Teildisziplin einer Wissenschaft, die in unterschiedlichen Wissenschaften verwurzelt ist? Sowohl die Einheit in einer Bildwissenschaft als auch die Aufsplitterung der Bildwissenschaft in verschiedenen Teildisziplinen können wie der folgende Abriss zeigt für die Bildforschung in Erwägung gezogen werden.


[1] Vgl. Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, 13.

[2] Vgl. Mitchell, Bildtheorie, 101. Mitchell orientiert sich am Bildergebrauch in der Alltagskultur und Boehm fragt grundsätzlich nach dem Bild-Sinn.

[3] Vgl. Sachs-Hombach/Schirra, Medientheorie, visuelle Kultur und Bildanthropologie, 418f. Beim «visualistic turn» geht es um einen Prozess einer allgemeinen Bildwissenschaft, die Sprache und den Gebrauch von Bildern in einem engen Zusammenhang sieht.

[4] Vgl. Wiesing, Artifizielle Präsenz, 9.

Allgemein lässt sich die Frage nach einer Bildwissenschaft oder den Bildtheorien so zusammenfassen: «Wer einzelne Bilder oder Bildgruppen untersucht, ist ein Bildwissenschafler, wer wissen will, was ein Bild zu einem Bild macht, ist dagegen ein Bildtheoretiker.»[1] Mit diesem Verständnis lassen sich gleichwohl in Anlehnung an Wiesing drei Hauptrichtungen innerhalb der Bildtheorien unterscheiden: Die semiotische Bildtheorie, die wahrnehmungstheoretische Bildtheorie und die anthropologische Bildtheorie. Alle drei Hauptrichtungen sind zugleich auch Mischformen.[2] Vielleicht kann paradoxerweise in der Vielfalt der Bildtheorien der gemeinsame Nenner der Bildwissenschaft sein? So, wie es keine Bildwissenschaft ohne Bildtheorien geben kann, ist es auch undenkbar, dass einzelne Bildtheorien nicht nach einem gemeinsamen Nenner suchen. Letztlich würden die Bildtheorien zwar für ihre Fachdisziplin Gültigkeit erlangen, aber nicht in einem interdisziplinären Diskurs bestehen können. Das macht die Berücksichtigung der jeweiligen Fachdisziplinen auch für die Liturgiewissenschaft unabdingbar. Die Mischformen der Bildtheorien können infolgedessen die Grenzen einer empirischen Untersuchung kategorialer Bild-Definitionen überwinden. Um den Schwerpunkt der jeweiligen Bildtheorie zu betonen wird zum Beispiel der philosophische und hermeneutische Zugang nicht unter der Fachdisziplin Philosophie behandelt, sondern eigenständig analysiert. Selbstverständlich gehört die Hermeneutik zur Philosophie. Aber der hermeneutische Zugang zu den Bildern legt einen anderen Schwerpunkt als die Semiotik. Damit trotzdem ein gewisser Überblick über die Bilddebatte gegeben ist, werden hier die bildtheoretischen Hauptströmungen in aller Kürze vorgestellt und im nächsten Unterkapitel in ihren jeweiligen Disziplinen genauer beschrieben. Der Begriff Hauptströmung möchte aufzeigen, dass die Bilder unter gewissen Aspekten genauer untersucht werden, ohne das weitere Ansätze zum Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen sind. Der Überblick könnte auch mit bildtheoretischen Ansätzen bezeichnet werden, doch der Begriff «Strömung» betont in diesem Fall die ineinanderfliessenden Bewegungen der Bildtheorien mehr. Vergleichbar mit einem trichterförmigen Wasserstrudel: Oben ist der philosophische Ansatz, in der Mitte der phänomenologische und schliesslich der anthropologische Zugang. Alle Drehbewegungen ziehen nach unten, zum Mittelpunkt, dem anthropologischen Ansatz und gleichzeitig bewegen sie sich nach oben. Ein philosophischer Zugang wird beispielsweise unweigerlich auch die Bildtheorie in der Bildanthropologie beeinflussen und umgekehrt. Der Begriff Strömung und Ansatz werden hier als Synonyme verwendet.


[1] Bonnemann, Bildphilosophie – Bildtheorie – Bildwissenschaft, 17.

[2] Vgl. Aristoteles, Organon, 4-39; Aristoteles, Über die Seele, II/3, 414b-417a, 71-85.

1.1 Philosophische Strömung

Bei der philosophischen Strömung geht es um die Zeichentheorie. Die Bilder gehören zur Gattung der Zeichen und können mit der Zeichentheorie analysiert werden. Konsequenterweise braucht es dafür keine zusätzliche Bildtheorie, weil die gesamte Symboltheorie genügt. Der philosophische Streit entzündet sich bei diesem Ansatz an der Frage nach der differentia specifica (Was macht ein Bild aus?): Die innersemiotische Sonderstellung des Bildes zum Beispiel durch die Ähnlichkeit (Charles Sanders Peirce)[1] oder in der Konvention und Gewohnheit (Nelson Goodman)[2]. Ferner bemüht sich Gottfried Boehm die Bildlichkeit vom Sprachlichen abzugrenzen. Auch dieses Bemühen bewegt sich im Rahmen der Zeichentheorie. Boehms Proprium besteht darin, dass er analog zum sprachlichen Sinn einen bildlichen Sinn sucht. Allerdings ist das ein typisches semiotisches Vorgehen. Der zeichentheoretische Ansatz wird von der Mehrzahl der Bildforscher vertreten.


[1] Vgl. Peirce, Phänomen und Logik der Zeichen, 64f; Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen, 17-19.

[2] Vgl. Goodman, Sprache der Kunst, 106f; Steinbrenner, Referenz – Symbol – Konvention, 295. Der Nominalist Goodman vertritt die Auffassung, dass die Welt sich nur als eine Welt von Individuen entwerfen lässt. Der Ausgangspunkt seiner Symboltheorie ist die Frage nach welcher Hinsicht ein Bild eine «Repräsentation» sein kann (konvetionalistische Bildtheorie).

1.2 Phänomenologische Strömung

Die phänomenologische Bildtheorie ordnet die Bilder der Kategorie «Sichtbarkeit» zu. Ein Bild ist auf spezifische Weise ein Bild, wenn es sichtbar ist.[1] Was ein Bild ist, hängt bei der Wahrnehmungstheorie im Gegensatz zur semiotischen Bildtheorie nicht von der Zeichenhaftigkeit ab, sondern davon wie mir ein Bild erscheint und wie ich es wahrnehme. Klaus Sach-Hombach möchte die philosophische Strömung mit der phänomenologischen kombinieren und schlägt darum vor, die Bilder als «wahrnehmungsnahe Zeichen» zu definieren.[2] Auch Lampert Wiesing löst die Frontenbildung der Bildwissenschaft gegen die Zeichentheorie, indem er Semiotik und Phänomenologie verbindet.[3] In der wahrnehmungstheoretisch-phänomenologischen Bildtheorie bleibt jedoch der Anspruch bestehen, dass Bilder, um Bilder zu sein, keine Zeichen sein müssen.[4] Somit könnte die Frage was ein Bild ist auch ohne Zeichentheorie erklärt werden. Trotzdem gehört die Wahrnehmung laut der semiotischen Bildtheorie zum Zeichenprozess dazu.


[1] Vgl. Wiesing, Sehen lassen, 40-51.

[2] Vgl. Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium, 86-89.

[3] Vgl. Wiesing, Sehen lassen, 67-77.

[4] Der mittelalterliche Universalienstreit gilt als Vorläufer der Unverträglichkeit der Semiotik und der Phänomenologie: universalia sunt realia ante rem (eine Realität vor den Sachen) und universlia sunt nomina post rem (Erkenntnis nur hinter den Sachen). In der Bildwissenschaft dominiert die Meinung, dass sich in der Erscheinung das Wesen offenbart. Vgl. Wyss, Die Wende zum Bild: Diskurs und Kritik, 13f.

1.3 Bildanthropologische Strömung

Einige semiotische und wahrnehmungstheoretisch-phänomenologische Ansätze sind, wie oben beschrieben, in der bildanthropologischen Betrachtungsweise Voraussetzung für eine bildanthropologische Argumentation. Gemäss der anthropologischen Bildtheorie gehören Bilder zu den menschlichen Artefakten.[1] Worin jedoch die differentia specifica besteht, ist in den anthropologischen Bildtheorien unterschiedlich beantwortet. Womöglich besteht diese Differenz, weil die anthropologische Bildtheorie über die Frage nach Merkmalen und Erkennungsmitteln, die nur auf den Menschen zutreffen, hinausfrägt. Die jeweilige anthropologische Analyse führt zum entsprechenden Verständnis dessen, was der Mensch ist. Die Untersuchung von Gemälden, Zeichnungen, Statuen, usw. wird konsequenterweise zur Frage nach dem Menschen als Kulturwesen führen. Wenn nun der Mensch allgemein als Bildwesen angesehen wird, dann sind Fragen nach der Eigenschaft für das Herstellen oder Wahrnehmen von Bildern im Subjekt Mensch erforderlich. In diesem Sinne holt der Philosoph Hans Jonas die Bild-Debatte aus den engen Grenzen der Kunstgeschichte und zeigt mit seiner Position einen ersten bildtheoretischen Ansatz in der Bild-Anthropologie. Hans Belting erklärt schliesslich die Anthropologie als den eigentlichen Grund der Bildwissenschaft.[2]Für ihn ist der «Ort der Bilder» nicht das Museum oder ein Bildschirm, sondern der Mensch in all seinen Facetten.[3] Warum wird dabei nicht von einer Bildphilosophie anstatt von einer Bildanthropologie gesprochen? Streng genommen wäre die Bildanthropologie eine Bildphilosophie, weil sie über das Bild Antwort über ihr primäres Thema Mensch gibt. Weil jedoch die Bilder um ihrer selbst willen untersucht werden, muss von einer (anthropologischen) Bildtheorie gesprochen werden. Die Bildtheorie hält fest, dass Bilder beispielsweise nicht altern. Bazin spricht in diesem Zusammenhang von einer Einbalsamierung der Zeit.[4] Die Bildphilosophie hingegen analysiert den Menschen als Produzent und Rezipient von Bildern. So fliessen zwangsläufig bildphilosophische Ansätze in die anthropologische Bilddebatte hinein. Die Bild-Anthropologie grenzt sich letztlich von einem rein ästhetischen und technischen Bildbegriff ab.

Seit der Ausrufung des iconic-turn-Zeitalters sind mehr als dreissig Jahre vergangen. Die wissenschaftlichen Debatten um das Bild postulieren eine Bildwissenschaft allein in ihrer Methodenvielfalt. So erfüllt sie nämlich ihr bildpraktisches und bildpragmatisches Forschungsfeld. Das stellt jedoch den akademischen Bilddiskurs vor grosse Herausforderungen: Bilder gibt es unabhängig von materiellen Grundlagen, und umgekehrt macht die Substanz allein keinen Gegenstand zu einem Bildnis. Was als Bild gilt, muss institutionell, gesellschaftlich, religiös und kulturell definiert werden. Die modernen Bildtheorien haben ihre Wurzeln daher sowohl in einer vergangenen als auch in einer gegenwärtigen Bildpraxis. Was als Bild definiert gilt, wird durch die Bildtheorie theoretisch konturiert, ist aber in der Bildpraxis erläutert. Das Praxis-Theorie-Schema zeigt beispielhaft der theologische Disput des 7./8. Jahrhunderts. Gleich müssen die heutigen philosophischen oder naturwissenschaftlichen Bild-Kontroversen gesehen werden. Eine Bildtheorie ist folglich keine alleinige Hypothese der Bildlichkeit, sondern hat auch Bezüge zu Machtansprüchen und ideologischen oder politischen Einstellungen. Bildtheorien lassen sich mit kulturellen Foren vergleichen, die bedeutende Themen des Menschen aufgreifen und diskutieren. Im nächsten Kapitel folgt daher ein Annäherungsversuch zu diesen verschiedenen Bildansätzen.


[1] Vgl. Halawa, Anthropologie: Bilder als Bedingung des Menschseins, 69.

[2] Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 14.

[3] Vgl. Belting, Bild-Anthropologie, 20.

[4] Vgl. Bazin, Ontologie des photographischen Bildes, 39.

5. Die Relevanz der Bildtheorien für die Liturgiewissenschaft

Die Frage, was ein Bild ist, lässt sich mit den interdisziplinären Bildmethoden aus verschiedenen Perspektiven beantworten. Das Phänomen des Bildes wird aufgrund dieser Vielfalt für die liturgiewissenschaftliche Auseinandersetzung interessant. Ein liturgisches Bild könnte im engen Sinne als ein materielles Bild, dass in einem sakralen Raum sich befindet (z. B. eine Jesus-Statue), verstanden werden oder im weiten Sinne ein Bild sein, das die gefeierte Liturgie allegorisch wiederspiegelt (z. B. das Bild einer Hochzeit). Beide Zugänge sind möglich, doch sie umfassen das liturgische Bildphänomen zu kurz. Für die Liturgiewissenschaft ist der Untersuchungsgegenstand «Bild» eng mit dem Betrachter verknüpft. Ausschlaggebend ist für die Liturgie der Zeichenträger, der Zeicheninhalt und der Betrachter bzw. Nutzer der liturgischen Bilder. Damit löst sich die Frage nach der Funktion liturgischer Bilder nicht in einer dogmatischen Lehre oder einer kirchenrechtlichen Festlegung auf.[1] Bei den Bildtheorien fällt auf, dass die Frage, was ein Bild ist, differenziert und in der Vielfalt beantwortet wird. Was als ein Bild in der Bildwissenschaft gilt oder welche Funktionen Bilder ausüben, wird aus verschiedenen Perspektiven behandelt und analysiert. Alle Bildmethoden haben ihre Berechtigung, denn sie ergänzen die bildtheoretische Denkweise. Selbst die etwas komplexe und materielle Bilder ablehnende, dekonstruktivistische Bildmethode führt zur liturgiewissenschaftlichen Aussage, dass auch ein bildloser, sakraler Raum ein Bild für die dort gefeierte Liturgie und Glaubensüberzeugung ist. Dabei muss der Dekonstruktivismus nicht bis ins letzte Detail diskutiert oder analysiert werden. Liturgiewissenschaftliche Relevanz gewinnt gleichwohl der Zugang oder die Art und Weise, wie über Bilder gedacht wird und welche Bedeutung ihnen zugesprochen wird. Mit solchen bildtheoretischen Ansätzen lässt sich der Zugang zu liturgischen Bildern erweitern und die Bedeutung, die Aufgabe und die Relevanz von Bildern in der Liturgie für den Menschen analysieren. Zu beachten gilt jedoch dabei: Die Frage nach der Bildfunktion verweist immer auch auf den konkreten liturgischen Ort und die anschaulichen Bilder in einer Liturgie. Grundsätzlich kann liturgie-theologisch gesagt werden, dass liturgische Bilder eine Nebenrolle in der Liturgie haben. Ihre Funktion besteht eigentlich darin Zeichen und Symbol für die überirdische Wirklichkeit zu sein (vgl. SC 122). Trotzdem kann diese Frage aus liturgiewissenschaftlicher Sicht nicht pauschal beantwortet werden, weil aus den Bildtheorien mehrere liturgische Funktionen sich ergeben haben. Wird dabei außerdem die liturgische Praxis vor Ort berücksichtigt, werden die Aufgaben, die Bedeutung und Wirkung liturgischer Bilder durch weitere Faktoren ergänzt. Als Beispiel dazu kann die Schwarze Madonna von Einsiedeln erwähnt werden. Wer in der Klosterkirche in Einsiedeln die Liturgie feiert, wird zwangsläufig neben allen anderen Bildern auch der Schwarzen Madonna begegnen. Die Gnadenkapelle zeigt, dass sich das liturgische Leben zentral um diesen Ort herum gestaltet. Liturgiewissenschaftlich könnte hier näher gefragt werden, inwiefern die Statue der Einsiedler Madonna Einfluss auf die Liturgie nimmt: Spiegelt sich beispielsweise das Urbild der «Mutterschaft» in der Einsiedler Liturgie und im Ausdruck der Pilger wieder? An welchen liturgischen oder religiösen Zeichen lässt sich das festmachen? Das semiotische Dreieck könnte in der liturgiewissenschaftlichen Auseinandersetzung womöglich am besten dienen. Wahrscheinlich wird eine solche Untersuchung die starke Wechselwirkung von liturgischen Bildern, lokaler Liturgie und Spiritualität aufzeigen. Das betrifft die Frage, die den Blick aus der Theorie heraus für die Praxis und die Bildspiritualität erweitert.


[1] Vgl. Hoeps, IV. Am Ende der christlichen Bildfunktionen?, 14f.

6. Entwicklung einer liturg. Bildtheologie und einer christlichen Bildspiritualität

Mit der Entwicklung einer liturgischen Bildtheologie und Bildspiritualität greift diese Vorstudie den Kern der Hauptstudie in der Dissertation auf. Die folgenden Ergebnisse basieren auf die Erkenntnis der Vorstudie und möchten hier eine mögliche liturgie-theologische Richtung für die Entwicklung einer liturgischen Bildtheologie aufzeigen:

  1. Exegetisch-theologische Grundlagen: Das theologische Hauptargument warum im Christentum Bilder legitim sind, ist christologisch begründet: Jesus Christus als lebendiger Mensch, als Leidender, Sterbender und auch als Auferstandener ist das Bild des unsichtbaren Gottes (vgl. Kol 1,15; 2 Kor 4,4), ohne dass dadurch Gott in seinem Wesen sichtbar oder fassbar geworden ist (vgl. 2 Kor 5,19; Röm 1,20). Mit dieser theologischen Argumentation ist die christliche Bildtheologie in der Kirchengeschichte begründet und für das Christentum gerechtfertigt worden. Doch Christus als Bild des unsichtbaren Gottes ist nicht statisch gemeint, sondern in Beziehung zu denken. Das Bild Gottes, Jesus Christus, hat real gelebt, gehandelt, gewirkt und so den unsichtbaren Gott sichtbar gemacht. Die exegetische Grundlegung der liturgischen Bildtheologie knüpft allerdings schon bei der allgemeinen Gottesebenbildlichkeit des Menschen an. Der theologische Fokus soll daher nicht von Anbeginn bei der Menschwerdung Gottes sein, sondern zuerst wird der Mensch als ein von Gott geschaffenes Bildwesen zum exegetischen Untersuchungsgegenstand werden. Mit der alttestamentlichen Gottesebenbildlichkeit des Menschen (vgl. Gen 1,26; 5,1; 9,6; Ps 8,6) erwachsen für ihn einige Aufgaben, Bedeutungen und ein Mitwirken in der gesamten Schöpfung (vgl. Gen 1,28-30). Beispielsweise hat der Mensch als Bildwesen seine Funktion in der Schöpfungsordnung darin bekommen, dass er über die Erde «herrschen» soll (vgl. Gen 2,28f.). Welche Bedeutung diese Funktionen des Menschen haben, müsste exegetisch näher analysiert werden, bevor schliesslich die Aufgaben im Reich Gottes für den Menschen näher betrachtet werden können. Um die neue Schöpfung in Jesus Christus zu verstehen, muss zuerst die Theologie der alte Schöpfung nachvollzogen werden. Denn diese alttestamentlichen Aufgaben des Menschen als Abbild Gottes werden mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus modifiziert oder der Blickwinkel wird christlich präzisiert (vgl. Joh 1,14; Phil 2,5-11; Kol 1,15-20). Exemplarisch lässt sich das an der paulinischen Theologie aufzeigen: Paulus knüpft an der der alttestamentlichen, schöpfungstheologischen Gottesebenbildlichkeit an und rundet diese in einem heilsgeschichtlichen Bogen ab, indem er im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi eine neue Schöpfung proklamiert: «Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.» (Kol 1,15) Damit werden die Aufgaben, die Bedeutung und die Wirkung des Menschen im Reich Gottes im Licht des Heilsmysteriums gedeutet. Beispielsweise betont die christliche Ebenbildlichkeit einen starken Bezug zur Nächstenliebe: Jesus Christus identifiziert sich mit Menschen in der Not und Bedrängnis (vgl. Mt 25). Damit ist die Gottesebenbildlichkeit nicht nur schöpfungstheologisch und pneumatologisch, sondern ebenfalls ethisch charakterisiert (Röm 13,14; Kol 3,8-23, 1. Kor 13,7; 1. Joh 2,6 usw.). Die Kirche orientiert sich an der Ikone des unsichtbaren Gottes, Jesus Christus. Damit ist der Ursprung christlicher Bilder nicht ein materielles Kultbild, sondern das Leben, das Sterben und die Auferstehung Jesu Christi. Diese exegetischen Grundlagen müssten in der Dissertationsstudie erarbeitet werden. Ebenso wichtig ist dabei dem aus dem Glauben hervorgegangenen Bildbedürftnis bibel-theologisch nachzugehen. Ein solcher exegetisch-theologischer Zugang zeigt einen anderen Blickwinkel auf die biblische Bildthematik, als über das gängige alttestamentliche Bildverbot.
  • Bildtheoretische und liturgiewissenschaftliche Grundlagen: Der zweite Schwerpunkt der Hauptstudie sind die Ansätze aus der Bildwissenschaft. Dabei soll der Schwerpunkt auf der semiotischen Bildtheorie gelegt werden, weil sie den grössten Ertrag für die Liturgiewissenschaft schon in der Vorstudie aufgewiesen hat. Der semiotische Ansatz lässt sich überdies gut mit den anderen bildtheoretischen Ansätzen kombinieren, weil der grundsätzliche Zugang zu liturgischen Bildern über Konventionen, Zeichen und Gebrauchsweisen definiert ist. Im Geflecht der Bildbeziehung lassen sich auch einzelne Bildtheorien einordnen, wie zum Beispiel die psychologische oder anthropologische Bildtheorie in der pragmatischen und semantischen Beziehung. Das Anliegen der bildtheoretischen und liturgiewissenschaftlichen Grundlegung ist eine Brücke zwischen der Bildwissenschaft und der Liturgie zu bauen. Dafür soll ein liturgiewissenschaftliches System, eine liturgie-theologische Systematisierung, eröffnet werden, damit die liturgischen Bilder in der vielfältigen Wirkweise analysiert werden und die mannigfaltige Bedeutung für den Menschen und für die Liturgie aufzeigt wird. Die liturgische Bildtheologie ist daher nicht einzig auf eine endgültige Bilddefinition oder auf eine Bildtheorie angewiesen, sondern berücksichtigt in ihren Überlegungen die Diskussionsrichtung aller Bildtheorien. Es genügt beispielsweise zu wissen, dass in der Hermeneutik die Ansicht überzeugt, dass allgemein die Bilder mehr aussagen, als sie zeigen. Der Bedeutungsüberschuss liturgischer Bilder ist nicht zu unterschätzen, weil er einer gewissen (liturgischen) Ausdruckslosigkeit entgegenkommt. Offenbar drücken gewisse liturgische Zeichenträger aus der Sicht der Betrachter nicht immer und überall den Zeicheninhalt vollumfänglich aus.[1] Liturgische Bilder als Zeichenträger eröffnen für die Liturgie einen weiten hermeneutischen Auslegungsüberschuss und bieten für jeden Gläubigen einen individuellen und für sie ansprechenden Zugang zum dargestellten Heilsmysterium. Die liturgiewissenschaftliche Systematisierung der Bildtheorien wird eine Herausforderung für die Hauptstudie darstellen. Sie ist jedoch notwendig, damit aus liturgiewissenschaftlicher Sicht die Bedeutung und Wirkmacht liturgischen Bilder übersichtlich untersucht werden kann.
  • Liturgiewissenschaftliche Grundlagen einer christlichen Bildspiritualität: Paulus spricht davon, dass die Gläubigen den alten Menschen abgelegt haben und den neuen Menschen, Jesus Christus, angezogen haben (vgl. Röm 13,14; Gal 3,26f). Die neue Natur in Jesus Christus führt zur wahrhaftigen Kindschaft Gottes, die sich kraft der Taufe als geistliche Geburt ereignet hat. Damit ist die neue Ebenbildlichkeit Gottes keine Anstrengung der menschlichen Natur, sondern Gnade und Geschenk Gottes für jene, die Jesus Christus nachfolgen. Allegorisch gesprochen ist das Leben des Gläubigen die Leinwand, an der Gott die Grundzüge des Sohnes mit der Farbe des Evangeliums und einer individuellen Beziehung des Gläubigen zu Jesus Christus zeichnet. Den Anfang dieser Christus-Ikone stellt die Taufe dar. Das Ziel der Taufe ist die Vereinigung mit Jesus Christus, die für den Gläubigen über den Empfang des Wortes Gottes und der Eucharistie hinübergeht in die endgültige Vollendung in der Ewigkeit. So gesehen ist die Verwandlung des Christen in die Ikone Christi ein zutiefst spiritueller Prozess, der sich aus dem Wort Gottes, in der Gemeinschaft der Kirche und durch die Sakramente im Heiligen Geist gestaltet. Alle liturgischen materiellen und immateriellen Bilder intendieren eine solche Bildspiritualität, die sich aus der Taufspiritualität entwickelt. Jedes materielle liturgische Bild ist im Sinne einer Tauferinnerung zu verstehen. Rudimentär zeigt sich das beispielsweise im Zeichenträger des Taufkleides. Die weisse Albe ist das Bild derer, die im Blut des Lammes ihr Gewand hell gewaschen haben (vgl. Off 6,9-11; 7,9-14). Aus der Albe, einem Zeichenträger der Taufgnade, ist das Grundgewand der im liturgischen Dienst Stehenden geworden (Priester, Diakon, Pastoralassistent, Lektor, Kommunionhelfer, Ministrant usw.). Man beachte hier zum Beispiel die paulinische Anspielung in Hebräer 10,19-15, die das Abwaschen in der Taufe in Bezug zum reinen Gewissen bringt. Dieser ethische Bezug ist ebenfalls in einer christliche Bildspiritualität, weil sich der Gläubige im Bild Christi verwandelt hat. Der Betrachter wird dabei nicht mit der Zeichenreferenz (Jesus Christus) gleichgesetzt. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Gläubigen und Christus. Jedoch werden aufgrund der Nachfolge die Grundzüge Christi vor allem im Handeln und der Lebenseinstellung erkannt (ekklesiologischer und pneumatologischer Bezug). Die Bildspiritualität ist weiter von einer Kenosis-Theologie (vgl. Phil 2,6ff) inspiriert, weil der Betrachter sich selber stirbt und Christus in ihm lebt (vgl. Gal 2,20). Eine derartige spirituelle Identifizierung kann sich bis zum sichtbaren Phänomen der Stigmatisierung ereignen. Diese aussergewöhnliche Manifestation geschieht streng genommen an jedem Getauften, wenn auch geistlich. Daher ruft jeder liturgie-praktische Zeichenträger, wie die Albe, exemplarisch in Erinnerung, was einst bei der Taufe begonnen hat: Die konkrete Nachfolge Christi oder die Eingliederung und das Einswerden in Jesus Christus. Alle materiellen Bilder sind dadurch liturgie-theologisch eingebettet in die Menschwerdung Gottes und sie erinnern daran, dass Gott, der Unsichtbare, mit dieser Menschwerdung auch die Materie angenommen hat. Es ist ein christliches Bekenntnis sondergleichen, das die Gutheit der Schöpfung betont, die liturgischen Bilder als Zeichenträger für das Reich Gottes deutet und gleichzeitig zum Austreckt nach dem Ewigen begeistert. Das Gesicht des Getauften ist sichtbarer Zeichenträger des unsichtbaren Antlitzes Gottes.[2]

Doch die Liturgie ist nie nur Funktion, Wort, Text oder Zeichen (Bild), sondern ein Geschehen. Daher evoziert die Liturgie die Begegnung zwischen Gott und Menschen und es zeichnet sich durch eine Fülle von bewussten und unbewussten Zeichensystemen und Zeichenprozesse aus. Zugespitzt könnte das so formuliert werden: Der Mensch kann seinen Glauben nur in seiner Leib-Seele-Verfasstheit feiern. Darin sind auch alle seine Sinne wie das Sehen eingeschlossen. Eine christliche Bildspiritualität lebt aus der Spannung zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren wie es auch der Mensch in seiner Verfassung tut. Sie führt jedoch vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und schliesslich zur endgültigen Gottesschau, indem im irdischen Leben der Blick in den Himmel durch liturgische Bilder und die allgemeine sakrale Kunst erhascht wird. Wenn es in dieser Spiritualität zur Begegnung mit Christus gekommen ist, wird der Zeichenträger für den Gläubigen irrelevant. Das materielle Bild ist immer Mittel zum Zweck.

Diese genannten Grundlagen sind selbstverständlich nicht vollständig. Einzelheiten werden sich bei der Hauptstudie ergeben. Bei den exegetisch-theologischen Ausgangspunkten beispielsweise, könnte auch das biblische Bilderverbot eigens analysiert werden. Der hier vorgeschlagene exegetische Zugang geht jedoch von einem positiven Bildverständnis im Christentum aus. Darum wird das biblische Bilderverbot nur am Rande diskutiert und dafür einer christlichen Bildspiritualität mehr Platz eingeräumt. Ebenso könnten alle Bildtheorien unter der philosophischen Disziplin zusammengefasst werden. Doch aufgrund der breiten Ausfächerung bildtheoretischer Ansätze kann die Liturgiewissenschaft dem Phänomen des Bildes unterschiedliche Wirkweisen, Bedeutungen und Aufgaben für die Liturgie zusprechen und diese feinen Unterschiede auch machen. Die Liturgiewissenschaft hätte so ein Hilfsmittel die spezifische Unterscheidung vom Betrachter, dem liturgischen Bild als Zeichenträger, der gefeierte Liturgie (Glaube) und dem Zeicheninhalt zu unterscheiden. Das liturgische Bild besteht weiter liturgiewissenschaftlich gesprochen nicht um seiner selbst willen, sondern ist mystagogisch, also in das Heilmysterium hineinführend. Darum darf auch von einer christlichen Bildspiritualität gesprochen werden. Denn wo der Theologie die Begriffe und die Erklärungen fehlen, dort kann die Mystik mit (allegorischen) Bildern greifen und sie verleiht dem, was der Mensch mit Gott erfahren hat, Ausdruck.


[1] Wenn alle Zeichenträger «Maria mit Kind» die Betrachter gleich ansprechen würden, dann bräuchte es auch nicht viele verschiedene Zeichenträger. Beispielsweise werden einige Marienbilder als Gnadenbilder verehrt und gelangen so zu einer grossen Popularität. Andere sakrale Kunst hingegen wird im Kirchenraum kaum wahrgenommen.

[2] Wenn neue Ikonen in der Ostkirche hergestellt werden und der Ikonograph nicht weiss, wie der oder die Heilige ausgesehen hat, dann orientiert er sich an die Christusdarstellungen. Diese spirituelle Einstellung zeigt auf, dass der Mensch in das verwandelt werden soll, was er betrachtet: Jesus Christus. Dabei spielt es keine Rolle, welcher oder welche Heilige dargestellt ist. Alle Heiligen waren in der Nachfolge Christi und repräsentieren damit einen «anderen» Christus. Liturgische Bilder sind immer auf Christus und die Nachfolge Christi gerichtet. Daher sind liturgischen Bilder christologisch und sie animieren zu einer christuszentrierten Spiritualität. Die christliche Bildspiritualität hat dadurch nicht das Bild als Ziel, sondern Jesus Christus als lebendige Person. Letztlich will jeder liturgische Zeichenträger zur Beziehung mit Jesus Christus führen. So lässt sich die liturgische Funktion aller Bilder im sakralen Raum und auch im privaten Gebet beschreiben.

Wir erweisen den heiligen Ikonen unsere Verehrung durch Kuss, Bekreuzigung, Kerzen und Weihrauch.

7. Ökumenisches Konzil

Bild und Liturgie.