Christliche Bildforschung
Die hier vorgestellte (liturgische) Bildtheologie wurde 2020/2021 als Qualifikationsarbeit an der Theologischen Hochschule Chur eingereicht und wird mit der Genehmigung der Theologischen Hochschule Chur auf unserer Projekthomepage ikonen-schule.ch eingebunden.
Bitte beachten Sie: Die hier publizierten Teile der Qualifikationsarbeit stammen aus der Vorstudie «Bedeutung und Wirkung liturgischer Bilder» von lic. theol. Mike Qerkini (2020/2021). Die Erforschung der christlichen Bilder geht nun über in die Hauptstudie «Liturgische Bildtheologie» (2021- ca. 2024).
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… die Bildtheologie oder
… die liturgische Bildtheologie.
Bildforschung im Christentum
Bilder sind Teil der Geschichte des Menschen und deshalb auch selbstverständlich Teil des Christentums.[1] Die Entwicklung christlicher Bilder muss anhand schriftlicher Zeugnisse (Dokumente, lehramtliche Aussagen, Konzilien usw.) oder auch bildlicher Darstellungen rekonstruiert werden. Die überlieferten Artefakte sind dabei mit Vorsicht zu analysieren, weil die völlig kritische Bildauseinandersetzung nur teilweise überliefert wurde. Die Geschichte der christlichen Bilder wird vorwiegend aus der Perspektive der Bildfreunde beschrieben. Erschwerend kommt in der Theologie hinzu, dass es keine Fachdisziplin «Bildtheologie» gibt. Die (geschichtliche) Untersuchung der christlichen Bilder wird unter diversen Fachdisziplinen mit unterschiedlichen Anliegen angegangen.
Aus theologischer Sicht wird die Bilderforschung im Christentum in der Kunst- oder Kirchengeschichte verortet. Selten oder nur am Rande findet sich das Bildthema in der Dogmatik oder in der Fundamentaltheologie. Innerhalb der theologischen Disziplinen besteht folglich ein individuelles Interesse am Bildphänomen. Das Interesse der Dogmatik könnte zum Beispiel bei einem Christusbild besonders christologischer Natur sein, während ein kunsthistorischer oder liturgischer Zugang ebenso die Form, die Farben und die Ausdrucksweise in den Bildern betonen könnte. Welche verschiedenen Blickwinkel in der christlichen Bildforschung betont wurden, möchte der nächste Abschnitt aufzeigen.
[1] Vgl. Spieser, Die Anfänge der christlichen Ikonographie, 139f.
1. Die christlichen Bilder in der frühen Kirche
Bereits in den ersten Jahrhunderten entfaltete sich trotz des alttestamentlichen Bilderverbots eine christliche Bildtradition und Bildkultur.[1] Im 3./4. Jahrhundert sind Bilder eine kirchliche Zugabe zum Evangelium,[2] wobei die katechetische Funktion der christlichen Bilder als Tradierung des Evangeliums über die Jahrhunderte an Bedeutung gewann. «Bilder assistierten der liturgischen Feier der Sakramente und kommentierten sie.»[3] Eine einheitliche Bildtheologie gab es nicht. Die neutestamentlichen Zeugnisse[4] entwickelten sich im 6. Jahrhundert in der Ostkirche zu einer ausschliesslich christologischen Bildtheologie.[5] Dieser Zugang zu den Bildern ist nicht ohne Widersprüche gewesen, hat aber im 7. Ökumenischen Konzil von 787 in der Ostkirche ein bilderfreundliches Ende gefunden.
[1] Vgl. Michel, Gebet und Bild, 59. – Vgl. zu den Ängsten des Christentums über den pictorial turn: Mitchell, Vier Grundbegriffe der Bildwissenschaft, 320f.
[2] Vgl. Lange, Der byzantinische Bildstreit und das Bilderkonzil von Nikaia, 171; Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage im 8. und 9. Jahrhundert, 22.
[3] Hoeps, Handbuch der Bildtheologie, 9.
[4] Vgl. die ersten neutestamentlichen Auseinandersetzungen: Röm 1,18-25; 1 Kor 5,10f.: 6,9; 10,2.14; Gal 5,20: Eph 5,5; Kol 3,5 usw.
[5] Vgl. Lange, Der byzantinische Bildstreit und das Bilderkonzil von Nikaia, 178.
2. Die christlichen Bilder ab dem 10. Jahrhundert
In der Westkirche nahm die Bilderdebatte mit der bilderfreundlichen Scholastik und den Bildgegner wie dem Dominikaner Durandus de S. Porciano (1270 – 1334) und Robert Holcot (1290 – 1349) Fahrt auf. Philosophen und Theologen wie Johannes Duns Scotus (1266-1308) und Wilhelm von Ockham (1288 – 1347) diskutierten die Beziehung des Bildes zu seinem Urbild.[1]Die Wirkmacht der christlichen Bilder wurde als Thema neu erkannt. Selbst die Reformgruppe des 14. bis 16. Jahrhunderts nahm die Bildtheologie zum Streit um eine rechte Kirchenreform.[2] Luther und die liberalen Reformatoren deontologisierten die Bilder, indem sie ihnen eine «Präsenz des Heiligen»[3] absprachen. Calvin und Zwingli hingegen verorteten die Bilder in der Äusserlichkeit und sahen keine ontologische Partizipation am Abgebildeten.[4]
[1] Die Ideenlehre des Platon (5. Jahrhundert v. Chr.) besagt, dass die materielle Wirklichkeit (Abbild) sich auf das Übersinnliche (Ideen) bezieht. Die Dinge in der Sinnenwelt sind Erscheinungen der Ideen und leiten sich von diesen ab. Vgl. Wirth, Die Bestreitung des Bildes, 200.
[2] Vgl. Lentes, Zwischen Adiaphora und Artefakte, 217f; Koerner, Die Reformation des Bildes, 42-54.
[3] Hinter der Vorstellung von der Präsenz des Heiligen im Bild steht folgendes theologisches Denksystem: Gott ist die oberste, ursprüngliche Realität. Aus ihm entfaltet sich eine Stufenordnung (Hierarchie) von Sein und Energie. Dieses «stufenweise Hervorgehen alles Seienden aus dem Einen» übertrug Dionysios-Areopagita (ca. 6. Jahrhundert) aus der Philosophie des Proklos (5. Jahrhundert) auf ein christlich-theologisches System. Im 7. Jahrhundert griff Johannes von Damaskus die platonische Hypothek von Bildern als Abbilder auf, betonte jedoch die Personengleichheit hinsichtlich der Darstellung. Das Christentum übernahm diese Vorstellungen. Gemäss diesem Repräsentationsschema wird seither eine unmittelbaregegenwärtige Wirkmächtigkeit des Dargestellten im Bild angenommen. Der Schwerpunkt liegt in der theologischen Debatte jedoch nicht auf dem Repräsentationsgedanken, sondern auf der Präsenz des Heiligen (vgl. Hoeps, Von der Darstellung zur Gegenwart, 395-397). Das aus der Philosophie des Platon übernommene Verständnis zum Verhältnis der Sinnendinge zu den Ideen (Repräsentationsschema) lässt die christliche Bilddebatte aber nur aus einem verkürzten Blickwinkel erscheinen. Aus der systematischen Bildanalyse ergibt sich, dass nicht alle Bilder Abbilder im platonischen Sinn sind. Bilder sind bildwissenschaftlich keine rein natürlichen Zeichen, sondern sie sind in Bildsystemen (Korrelation zwischen Bildern und den dargestellten Gegenständen oder Szenen) mit konventionalen Zeichensystemen (syntaktische Dichte) gestellt. Daraus ergibt sich, dass Bilder typischerweise komplexe Artefakte sind, deren Hervorbringung, Verstehen und auch Verwendung mit Intentionalität (Wahrnehmung, Erinnerung, Überzeugungen, Absichten, Pläne, Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen) einhergeht (vgl. Scholz, Abbilder und Entwürfe, 158-161).
[4] Vgl. Lentes, Zwischen Adiaphora und Artefakte, 229-231.
3. Beschluss des Konzils von Trient
Innerkatholisch gab es verschiedene theologische Positionen, bis 1563 in Abwehr des Gedankenguts der Reformatoren das Dekret über die heiligen Bilder beim Konzil von Trient (1545 – 1563) verabschiedet wurde.[1] Die Bestimmungen und Argumente des Konzils basieren auf byzantinischer und scholastischer Reflexion der Zeit. Mit der angestrebten katholischen Bilderpraxis sollte die religiöse Identität der Gläubigen gestärkt werden.[2] Einmal mehr wurde die pädagogische und katechetische Bilderfunktion betont. Auf diesen Beschluss hin, und im Rahmen der Gegenreformation, entfaltete sich in der Volksfrömmigkeit ohne liturgische oder bildtheologische Reflexion eine grosse Freude an Gnadenbildern.
[1] Vgl. DH 1821-1825.
[2] Vgl. Ganz/Henkel, Kritik und Modernisierung, 264.
4. Das II. Vatikanum und die Bilderverehrung
Erst im Zuge des II. Vatikanums (1962-1965) sollte diese Bildtheologie im Kontext eines revidierten Kirchen- und Menschenbildes neu bestimmt werden. Im Zentrum der theologischen Reflexion steht nun der Mensch mit seinen geistig-körperlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bezügen, der zum Adressaten der christlichen Botschaft und damit auch zum Ausgangspunkt einer neuen Bilddebatte wird. In diesem Zusammenhang bestätigt das II. Vatikanum in der Konstitution über die heilige Liturgie «Sacrosanctum Concilium» (SC) den Brauch der Bilderverehrung (vgl. SC 122-30). Das Konzil anerkannte mit der Liturgiekonstitution das bestehende Bildbedürfnis des Menschen und die damit verbundene Vermittlung und Überschreitung der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits.[1] Seit diesem Aufbruch in der liturgischen Theologie wird um bildtheologische Ansätzen gerungen.[2] Der liturgiewissenschaftliche Bilddiskurs des 21. Jahrhunderts steht vor der Herausforderung, sich der neuzeitlichen Bildkultur zu stellen und das christliche Bild insbesondere liturgietheologisch zu profilieren.
[1] Wenn die Liturgiekonstitution in SC 125 auf Reduzierung und Ordnung der Bilder drängt, so ergibt sich das aus dem leitenden Interesse an der Eucharistie als Quelle und Höhepunkt der Liturgie: Bilder und andere liturgische Gegenstände dürfen von der Eucharistie nicht ablenken. Das räumliche Ideal ist ein freistehender Altar als Mitte der Gemeinde und als liturgischer Orientierungspunkt. In diesem Sinne verfolgt die kirchliche Bildausstattung immer das Ziel der Hinführung zur Eucharistie. Daraus ergibt sich das grundlegende, bildliturgische Thema von «Bild und Liturgie», welches liturgiewissenschaftlich in der Dissertation zu erarbeiten ist.
[2] Vgl. Müller, Text und Bild, 48f.
5. Forschungsbedarf in der Bildtheologie
Das Thema einer liturgischen Bildtheologie wird in der Fachdisziplin der Liturgiewissenschaft zwar in verschiedenen Publikationen aufgegriffen, aber eine explizit liturgiewissenschaftliche, bildtheologische Auseinandersetzung ist bis anhin pendent. Bislang dominiert weiterhin der kunsthistorische Zugang die Auseinandersetzung um Bilder in der Liturgie. Ganz anders wird die Bildthematik in der Bildwissenschaft diskutiert: Die Bildwissenschaft bedient sich vieler Bildtheorien um die Bildthematik zu analysieren. Die bildwissenschaftliche Methodenvielfalt stellt dabei ein überzeugendes Instrumentarium dar, um damit die Bildthematik von allen Seiten zu beleuchten. Die Bildtheorien schaffen es mit ihrem Fokus gezielt das Bildthema aus einem Blickwinkel zu untersuchen und gleichzeitig sind sie im Horizont einer allgemeinen Bildtheorie gestellt. Daher bilden die Bildtheorien eine solide Brücke zwischen der Bildwissenschaft und der Liturgiewissenschaft. Doch nicht nur die Liturgiewissenschaft profitiert von der Methodenvielfalt. Auch die Bildwissenschaft lässt sich um einen bildliturgischen Ansatz bereichern.
Eine rein kunsthistorische Forschung der christlichen Bilder, wie bis anhin in der Theologie üblich, wird aufgrund der modernen Bildforschung dem bildwissenschaftlichen Diskurs nicht gerecht. Auch die gegenwärtige Bildtheologie nutzt die Methodenvielfalt der Bildwissenschaft nicht. Dementsprechend lässt eine liturgiewissenschaftliche Verortung der Bilder (Teil A) aus liturgie-theologischer Sicht zu wünschen übrig.[1] Im Geiste des II. Vatikanums bedarf die christliche Bildtheologie eines «Aggiornamento». Gefragt ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Beiträgen aus den verschiedenen Fachdisziplinen. Die westliche Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts hat sich der Frage nach Wirkung, Sinn und Macht der Bilder in den letzten Jahren angenähert, wie es zum Beispiel Alex Stock (1937) in seiner poetischen Dogmatik angeregt hat.[2] Die fehlende theologische Bildaufarbeitung aus der Sicht der westlichen Theologie stellen diverse Autoren fest – u. a. Hans Belting (1935),[3]Peter Hofmann (1958)[4] und Papst em. Benedikt XVI (1927)[5]. Die zeitgleich mit dem II. Vatikanum entstehenden interdisziplinäre Bildtheorien auf der Grundlage anthropologischer und kultureller Gegebenheiten ergänzen die liturgiewissenschaftliche Verortung der Bilder (Teil B). Für die Liturgiewissenschaft bedeutet diese Methodenvielfalt eine ausschlaggebende Chance sich der Bildthematik anzunähern. Die zu erarbeitende liturgische Bedeutung und Wirkung der Bilder mit Hilfswissenschaften ist eine Vorstudie und versteht sich als interdisziplinärer Beitrag für die Bildwissenschaft als auch für die Liturgiewissenschaft.
[1] Vergleicht man den liturgiewissenschaftlichen Gehalt von Teil A und Teil B dieser Vorstudie, fällt auf, dass Teil B überzeugendere liturgie-theologische Argumente in die Bildtheologie einbringt als die die eigentliche theologische Verortung der Bilder (Teil A). Das liegt daran, dass die Bildwissenschaften (Teil B) das Thema Bild in ihrer Vielfalt analysiert. Um die Lücke in Teil A zu schliessen, ist in dieser Vorstudie nach jeder Bildtheorie eine kritische Anfrage aus der Theologie und die Bedeutung für die Liturgiewissenschaft eingebaut. Diese Analyse soll die Bedeutung der Bildtheorien für die Bildtheologie aufzeigen und die liturgiewissenschaftliche Verortung der Bilder stärken.
[2] Vgl. Stock, poetische Dogmatik, 128-139.
[3] Vgl. Belting, Bild und Kult, 197.
[4] Vgl. Hofmann, BildTheologie, 184-198.
[5] Vgl. Ratzinger, Theologie der Liturgie, 113.
«Oftmals genügt die Lektüre der entsprechenden liturgischen Texte, um eine Ikone besser verstehen zu können.»
Abraham Karl Selig
Liturgie feiern. Bilder verstehen.